Es ist okay zu kapitulieren.
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass man ständig und immer für alles kämpfen muss - von „Reiß dich mal zusammen.“ über „Du musst noch besser werden.“ zu „Ich hätte von dir mehr erwartet.“ Das alles bricht mir etwas das Herz. Denn das sind alles Dinge, die ich mir in Dauerschleife anhören durfte - vor allem von mir selbst.
Wir sollen darum kämpfen, der/die Beste zu sein, andere erwarten, dass wir um sie kämpfen und uns aufopfern, dann kämpfen wir noch gegen die Stimmen in unseren Kopf, die uns sagen, wir sind nicht gut genug, dann kämpfen wir noch mit dem Werbeplakat, weil das Model viel „schöner“ aussieht als wir, dann führen wir den inneren Kampf, was wir heute anziehen sollen und würden am liebsten unser Spiegelbild bekämpfen, dann kämpfen wir noch um einen Job, dann kämpfen wir gegen den Pickel in unserem Gesicht - oh und dann kämpfen wir ganz oft noch still und heimlich mit unseren Krankheiten.
Als wir noch Jäger und Sammler waren, sind wir in Stress geraten, als wir vor einem Tiger oder Bären standen - jetzt sind wir von diesen Dingen gestresst. Tja, first world problems. Fun Fact: Früher gab es keine Depressionen o.ä. Zumindest nicht in dem Ausmaß, wie es sie heute gibt.
Soll ich dir kurz den Hauptgrund von Depressionen nennen? Wir kämpfen gegen unser eigentliches Ich - indem wir darum kämpfen, von der Umwelt akzeptiert und gemocht zu werden.
(Ich kann gerne noch einen extra Blogeintrag zu dem Thema schreiben.)
Ehrlich gesagt würde ich da fast lieber den Tiger vorziehen. Ich schätze die Sterbensrate ist in etwa dieselbe. Just saying.
(Ich möchte damit lediglich darauf aufmerksam machen, wie tödlich diese ganzen oben genannte Kämpfe in Wahrheit für unser Ich sind.)
Nun zurück zum Kapitulieren.
Warum ich sagte, ich würde lieber einem Tiger gegenüberstehen als depressiv zu sein: Ich war es 8 Jahre lang.
Und soll ich dir sagen, was der aller erste Schritt zur Erleichterung war?
Zu kapitulieren, einfach den inneren Kampf aufzugeben.
Ich hab mich angestrengt, Dinge zu tun, die mich vermeintlich „glücklicher“ stimmen sollten. Ich hab mich angestrengt, trotzdem mein Leben „normal“ zu führen. Gib diesen Kampf auf. Es ist nicht du vs. diese Sache, die dich runterzieht, traurig macht oder fast umbringt.
(Was auch immer das für jeden Einzelnen ist, ich beschreibe es nur an meinem Beispiel.)
Es ist die ganze Zeit nur Du vs. Dich selbst. Du versuchst dich selbst zu bekämpfen. Du versuchst etwas von dir zu bekämpfen, was zu dir gehört, was gesehen werden will. Wir haben alle viele, verschiedene Anteile in uns und jeder Anteil hat sein Recht da zu sein - also lass ihn bitte. Dazu empfehle ich dir sehr die Arbeit mit meinen Workbooks, denn in denen geht es genau darum, alle Anteile wieder anzunehmen und in die Selbstakzeptanz zu gehen.
Was ich in den Jahren gelernt habe, war: Je mehr ich gekämpft und mich angestrengt habe, desto schwieriger wurde es. Ich dachte mir immer: „Ich weiß doch genau, was zu tun ist! Wieso bekomme ich es aber einfach nicht hin?“
Ich war nur darauf konzentriert, dass ich es nicht hinbekomme. Nach einigen Tagen oder manchmal auch Wochen, dacht ich mir: „Ganz ehrlich, Pia, scheiss drauf. Es ist jetzt einfach wie es ist. Du kannst im Moment eh nichts dran ändern.“
Es war kein Aufgeben - es war ein Hingeben und Akzeptieren.
Wenn wir die Lösung für etwas suchen, müssen wir in die vollständige Akzeptanz gehen, dass die Situation, wie sie gerade ist, einfach so ist.
Einige Tage nach meiner Kapitulation habe ich verstanden, was getan werden musste und konnte das dann auch umsetzen.
”Time cannot heal everything.
But acceptance will heal everything.”
Du kannst dir den Kampf vorstellen wie kochendes Wasser: Darin kannst du nicht klar sehen. Erst wenn es aufhört zu kochen, wenn es sich beruhigt, dann siehst du wieder alles. Und genau so ist es mit der Akzeptanz und Hingabe.
Also ja: Wenn du gerade in einer schwierigen Situation steckst, dann gib dir ein paar Momente, Minuten, Stunden, oder auch Tage und lass die Situation Situation sein. Denn wenn du wieder in deiner Ruhe bist - und dahin kommst du nur mit der Akzeptanz - dann wirst du die Lösung dafür sehen und bekommen.
Ich möchte nicht das kapitulieren oder aufgeben hier falsch verstanden wird: Natürlich ist der Kampf (gegen z.B. Depressionen) einer, der nicht aufgegeben werden sollte. Aber es geht um das Verständnis darum: Wir bekämpfen die meiste Zeit in Wahrheit nicht diese andere Sache sondern uns selbst. Und wir müssen den Kampf uns gegenüber aufgeben.
Was genau meine ich damit?
„Ich habe mich nicht genug angestrengt.“, „Ich hab’s nicht geschafft aufzuräumen.“, „Ich musste das Treffen absagen.“, „Ich bin ein schlechter Mensch/Freund.“, „Ich schaff’s nicht.“, „Ich hab versagt.“
Das musst du aufgeben.
Ja, dann hast du dich nicht genug angestrengt. Und du hast’s auch nicht geschafft aufzuräumen. Und vielleicht sind deine Freunde sauer, weil du wieder das Treffen abgesagt hast.
Du hast immer das Beste gemacht, was du zu dem Zeitpunkt tun konntest. Und es ist okay, sich nicht genug angestrengt zu haben - aber vielleicht hast du einfach nicht mehr geschafft in dem Moment. Und es ist auch okay, ein Treffen abzusagen, wenn du gerade nicht kannst.
Aber jetzt ist der Moment vorbei und du kannst an ihm NICHTS mehr ändern. Du kannst nur darauf warten, dass du eine Chance bekommst und dann entscheidest du dich neu. Dann ist eine andere Zeit und vielleicht auch eine andere Entscheidung möglich.
Lass los. Lass deine eigenen Erwartungen los.
Du musst niemanden etwas beweisen - nur dafür sorgen, dass es dir gut geht. An manchen Tagen kannst du eben nur 10% Prozent geben. Dann wird es welche geben, da sind 60% drin und dann gibt es wieder welche, da gibst du 110%.
Kapituliere vor deinen eigenen Erwartungen. Sei dir nur sicher, dass du für dich in dem Moment das Bestmögliche getan hast - mit dem, was du an Potential zur Verfügung hattest. Und wenn du denkst, es wäre nicht genug: Dann versuche es einfach das nächste Mal nochmal.
Versuch es jedes Mal auf’s Neue wieder.
Ich möchte kurz auf die Beispiele von ganz oben nochmal zurück kommen.
Wir kämpfen darum, der/die Beste zu sein: Du musst nicht der/die Beste sein. Es reicht, wenn du dein bestmöglichstes tust.
Wir kämpfen um andere Menschen: Du musst nicht, um jemanden kämpfen. Es reicht, wenn du ihn liebst/gern hast und ihm/ihr das dann auch zeigst. Und auf keinen Fall solltest du dich für jemanden anderes aufopfern. Und wenn das nicht angenommen wird, dann gib auch da nach.
Die Stimme in deinem Kopf, die sagt, dass du nicht gut genug bist: Diese Stimme möchte nur, dass du sie hörst, weil sie womöglich Angst vor etwas hat. Also nimm sie wahr und sag ihr, dass es okay ist, dass sie da ist, aber dass sie im Unrecht ist.
Und das schöne Model auf dem Werbeplakat: Ja, sie ist schön. Aber das heißt doch nicht automatisch, dass du es nicht bist. Du bist genauso schön.
Unser Spiegelbild: Wenn du dir selbst, deinen Emotionen und Bedürfnissen mit mehr Akzeptanz und Liebe entgegentrittst, wirst du auch bald dein Spiegelbild akzeptieren und lieben lernen.
Der Job, den du unbedingt haben möchtest: Ist er es wert, dass du dich dafür so bemühst? Wenn ja, denkst du nicht, dass du schon genug dafür getan hast?
Und der Pickel: Das ist auch wieder nur dein Inneres, das dir sagen möchte: Akzeptier dich endlich und fang an dich zu lieben, wie du bist. Ansonsten bekommst du noch 5 weitere davon.
Und zu guter Letzt die Krankheit: Sie ist nicht gegen dich. Du hast es nur anders nicht verstanden, dass du nicht genug auf dich achtest. Sie versucht dir lediglich zu helfen.
Gib dich den Umständen hin. Nimm die Situation zu aller erst einfach nur wahr und akzeptiere, dass sie gerade da ist. Wenn du etwas daran ändern möchtest und kannst, dann tu es. Und wenn nicht - lass einfach los.
Es ist okay zu kapitulieren - besonders wenn der Kampf gegen dich selbst gerichtet ist.